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Bodenökotoxikologie in der Schweiz: Wo stehen wir und wo wollen wir hin?

26. Oktober 2018, Thema: Bodenökotoxikologie

Bodenökotoxikologie in der Schweiz: Wo stehen wir und wo wollen wir hin?

Ökotoxikologische Tests helfen bei der Bewertung der Bodenqualität. Das Oekotoxzentrum hat an einem Workshop im Juni wichtige Partner zusammengebracht, um über den Stand der Forschung zu informieren und über die Zukunft der Boden-Ökotoxikologie in der Schweiz zu diskutieren. 

Boden ist eine unserer wichtigsten Ressourcen und erfüllt viele Funktionen: Er ermöglicht Landwirtschaft, reguliert den Haushalt von Wasser und Nähstoffen, dient als Filter für Schadstoffe und als Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen. Auch für das Klima spielt Boden als grösster terrestrischer Kohlenstoff-Speicher eine wichtige Rolle. Die Bodenqualität kann jedoch durch Schadstoffe und andere Faktoren beeinträchtigt werden. Um die Bodenqualität zu messen eignen sich ökotoxikologische Methoden sehr gut, werden bis jetzt aber selten eingesetzt. Ausserdem werden auch für Böden ökotoxikologische, effekt-basierte Grenzwerte für relevante Schadstoffe gebraucht. Daher hat das Oekotoxzentrum zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Landwirtschaft einen Workshop organisiert, um Forscher und Anwender aus den Ämtern zusammenzubringen, über derzeitigen Stand des Wissens zu informieren und sich über zukünftige Aktionen auszutauschen. 

Starker Einfluss der Landwirtschaft

Ziel einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft ist es, den Boden so zu bewirtschaften, dass seine Leistungen erhalten bleiben. Die Bodenbewirtschaftung hat durch die Kulturwahl, die Bodenbearbeitung, die Düngung und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) einen entscheidenden Einfluss auf die Bodenorganismen und die Bodenfruchtbarkeit. PSM gelangen entweder direkt bei der Anwendung oder bei einem nachfolgenden Regenereignis in den Boden. Dort werden sie in unterschiedlichen Anteilen abgebaut, gebunden oder weiter transportiert. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für PSM wird die Verweildauer von PSM-Wirkstoffen und Abbauprodukten abgeschätzt; als Basis dienen Tests in verschiedenen Modellböden. Geprüft wird auch die Fähigkeit der Bodenorganismen und Bodenprozesse, sich nach einer PSM-Anwendung zu erholen: Nur, wenn die beobachteten Auswirkungen zeitlich begrenzt sind, wird ein Wirkstoff zugelassen. Mit dem Aktionsplan des Bundes zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von PSM sollen die heutigen Risiken von PSM halbiert werden. Dabei soll die Einführung eines Monitorings für PSM-Rückstände und von Indikatoren für die Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit die Anwendung der riskantesten PSM reduzieren. 

Aktuelle Risikobewertung von PSM

Zur Risikobewertung von PSM im Rahmen der Zulassung beurteilt das Bundesamt für Landwirtschaft die Wirkung auf verschiedene Organismen – wie zum Beispiel Regenwürmer, Springschwänze und Milben – in einem mehrstufigen Verfahren. Auf Basis der Anwendungsdosis und -art wird die PSM-Konzentration im Boden vorhergesagt. Um das Risiko für die Bodenorganismen abzuschätzen, werden die im Experiment bestimmten Effektschwellen (z.B. LC50, die Konzentration, bei der 50% der Versuchsorganismen innerhalb eines bestimmten Zeitraums sterben (akut), oder NOEC, die höchste Konzentration, bei der noch kein Effekt auf die Versuchsorganismen beobachtet wird (chronisch) der berechneten Umweltkonzentration (PEC Wert = Predicted Environmental Concentration) gegenübergestellt. Eine Bewilligung wird nur erteilt, wenn die berechnete Umweltkonzentration der PSM kleiner ist als die Effektkonzentration. 

Weiterführende Ansätze zur Bodenbewertung

Zur Beurteilung der Bodenbelastung gibt es verschiedene Ansätze, die zum Teil schon normiert sind. Der dreistufige TRIAD-Ansatz integriert chemische Analysen, Biotests und ökologische Freilandstudien mit zunehmender Komplexität, die aufeinander aufbauen. In der ersten Stufe werden die chemischen Bodenwerte verfeinert, es werden einfache Labortests mit Bakterien, Pflanzen, Regenwürmern und Springschwänzen durchgeführt und Vegetationsaufnahmen am Standort gemacht. Gibt es einen Hinweis auf eine Belastung, werden immer komplexere Untersuchungen aus allen drei Bereichen durchgeführt, um die Belastung zu charakterisieren – so werden dann ergänzende Biotests durchgeführt und die Biodiversität im Boden bestimmt. Untersuchungen mit Nematoden können zum Beispiel auf verschiedenen Ebenen durchgeführt werden: In vitro und in vivo Tests, Modellökosysteme und Freilandversuche. Um die Lücke zwischen Tests mit Einzelarten und komplexen Mesokosmen mit mehreren Arten zu schliessen, bieten sich Mini-Mikrokosmen mit einem einfachen Ernährungsnetz aus Bakterien, Pilzen, Nematoden, Protozoen und Collembolen an. Eine Testbatterie aus Nematoden, Regenwürmern, Collembolen, und Pflanzen liefert komplementäre Informationen zur Bodenqualität. 

Wie im aquatischen Bereich können auch im Boden verschiedene Bioindikatoren Auskunft über den Zustand und die Funktion des Ökosystems geben. Dafür kommt zum Beispiel die Analyse von Regenwurmpopulationen und der Nematodenindex zum Einsatz. Regenwürmer sind sehr wichtig für die Durchlüftung des Bodens und die Kompostierung von organischem Material; Nematoden nehmen Schlüsselpositionen im Boden-Nahrungsnetz ein und beeinflussen maßgeblich den Nährstoffzyklus. Sie sind ubiquitär und die verschiedenen Arten haben unterschiedliche Empfindlichkeiten, Ernährungs- und Vermehrungsstrategien.  Andere Messwerte wie der Omega3-Gehalt von Blättern und die Metallbelastung von Pflanzen oder Schnecken geben Informationen zur Schadstoffbelastung und dem potentiellen Transfer durch die Nahrungskette. Solche Bioindikatoren können in einem Langzeit-Überwachungsplan eines kontaminierten Standorts oder als Mass für den Erfolg einer Sanierung verwendet werden.  

Neue Normen für Boden-Mikroorganismen

Obwohl Mikroorganismen für die Qualität von Böden sehr wichtig sind, werden sie bis jetzt in den regulatorischen Regelwerken in Europa nicht berücksichtigt. Der Grund dafür ist, dass es noch keinen Konsens gibt, welche Verfahren als Standardverfahren empfohlen werden könnten. Es werden daher dringend neue Normen benötigt, um die ökotoxikologischen Auswirkungen von PSM auf Boden-Mikroorganismen zu beurteilen. Französische Forschende entwickeln derzeit ein Methodenpaket, um die Abundanz, die Diversität und die Aktivität von funktionellen Bakteriensystemen zu messen, die Ökosystemleistungen (zum Beispiel Stickstoffkreislauf, Filtrierung) in Böden erbringen. 

Fallstudie im Wallis

Eine Fallstudie zu den Auswirkungen einer chemischen Belastung auf Boden-Mikroorganismen  in der Schweiz befasste sich mit quecksilberbelastete Böden im Raum Visp und konnte zeigen, dass Boden-Mikroorganismen langfristig eine grosse Widerstandfähigkeit gegenüber Belastungen entwickeln können. Die Sedimente im Grossgrundkanal und die angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflächen sind stark mit Quecksilber belastet. Das Quecksilber liegt im Boden als Hg(II) vor und adsorbiert stark an organisches Material. Eine Untersuchung der Hg-belasteten Böden am Rand des Grossgrundkanal zeigte, dass sowohl die mikrobielle Biomasse als auch die Wachstumsrate von Bakterien und Pilzen nicht beeinflusst waren. 

Monitoringdaten sind notwendig

Zur Bodenbewertung werden Monitoringdaten gebraucht. Die Nationale Bodenbeobachtung (NABO) arbeitet an der Entwicklung eines Konzepts zum Langzeit-Monitoring von PSM in Schweizer Böden. Pilotstudien mit 90 Zielsubstanzen haben gezeigt, dass fast ¾ der ausgebrachten Wirkstoffe in Bodenproben analytisch nachgewiesen werden können; 84% der Wirkstoffe waren auch noch ein Jahr nach der Applikation detektierbar. Derzeit werden lediglich ungefähr 10% der in der Schweiz verwendeten PSM-Wirkstoffe in Böden überwacht. Ab 2020 ist ein erweitertes Monitoring geplant. 

Präventive Massnahmen im Kanton Genf

Vorbeugende Massnahmen können dabei helfen, die Risiken durch PSM zu mindern. Daher hat der Genfer Staatsrat eine Arbeitsgruppe gegründet mit dem Ziel, einen Massnahmenplan zur Anwendung von PSM in der Landwirtschaft zu entwickeln. Dafür wurde unter anderem eine dienststellenübergreifende Plattform geschaffen, die Landwirte sensibilisiert, und ein PSM-Monitoring eingeführt. Im Kanton Genf sind 40% der Fläche landwirtschaftliche Nutzflächen. Da die Nähe zwischen Stadt und Land ein Konfliktpotential mit sich bringt,  werden vor allem Projekte für die Anwendung präventiver Massnahmen zusammen mit den Landwirten erarbeitet und durchgeführt. 

Schritte für die Zukunft

Die Teilnehmer des Workshops diskutierten am Nachmittag in Gruppen, wo dringender Bedarf in der Bodenökotoxikologie in der Schweiz besteht und wie dieser gedeckt werden könnte. Der Etablierung eines Bioindikators oder mehrerer Bioindikatoren zur Bestimmung der Bodenfruchtbarkeit gaben die Workshop-Teilnehmer die höchste Priorität. Dafür müssen zunächst Bodenfruchtbarkeit und –qualität definiert werden. Als zweite Priorität sahen sie die Etablierung eines Parameters zur Bestimmung der funktionalen Vielfalt im Boden. Dieser Parameter sollte möglichst einfach und leicht anwendbar sein, denkbar wäre z.B. eine einfache genetische Bodenanalyse. Die dritte Priorität gaben die Fachleute der Erhaltung der Biodiversität der Böden. Da unser Wissen über die artspezifischen Funktionen von Bodenorganismen noch sehr begrenzt ist, können wichtige Arten verloren gehen, bevor wir ihre Funktion im Boden kennen. Ein großer Genpool ist ausserdem widerstandsfähiger gegen viele Stressfaktoren und hilft so bei der Erhaltung gesunder Bodenfunktionen. 

Um diese neuen Ansätze und Instrumente zur Beurteilung der Bodenqualität zu testen, werden Untersuchungsstandorte gebraucht. Dafür könnten beispielsweise die Monitoring-Standorte der NABO verwendet werden, zu denen schon viele Daten vorliegen. Die Workshopteilnehmer schlugen ausserdem die Bildung einer Arbeitsgruppe zur Ableitung von Umweltqualitätskriterien für Chemikalien in Böden vor. Ein weiteres diskutiertes Thema war die Bedeutung von praktischen Indikatoren für die Bodenqualität, die auf zeitliche Schwankungen und die Art der landwirtschaftlichen Praxis reagieren und als Referenzwerte für eine gemeinsame Messung der Bodenqualität verwendet werden können. Eine wichtige zukünftige Herausforderung sei es auch, die Ursachen von Biodiversitätsverschiebungen zu identifizieren und zu bewerten. 

Die NABO und das BAFU werden mit Unterstützung des Oekotoxzentrums und EnviBioSoil weitere Expertenworkshops durchführen, um Bioindikatoren auszuwählen und ein Bodenbeobachtungskonzept für die Schweiz auszuarbeiten. Durch einen solchen partizipativen Prozess sollen die Interessen von allen Seiten, also der Forschung, der Behörden und auch der Anwender, zusammengetragen und berücksichtigt werden. Ein weiteres angestrebtes Produkt ist ein Literaturreview, der den aktuellen Stand der Entwicklung von ökotoxikologischen Bioindikatoren zum Monitoring von PSM im Schweizer Boden zusammenfasst.

Kontakt

Dr. Benoît Ferrari
Dr. Benoît Ferrari E-Mail Kontakt Tel. +41 (0) 21 693 7445 / +41 (0) 58 765 5373

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