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Nagergifte in Schweizer Wildtieren

18. November 2022, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Bodenökotoxikologie

Nagergifte in Schweizer Wildtieren

Greifvögel und Füchse in der Schweiz sind mit hochtoxischen Nagergiften belastet: Dies zeigen erste Messungen des Oekotoxzentrums. Die Wirkstoffe, die zur Bekämpfung der Schädlinge eingesetzt werden, sind schwer abbaubar und reichern sich in der Nahrungskette an.

Mit ihren Knopfaugen und dem wuscheligen Fell sehen Mäuse niedlich und harmlos aus. Trotzdem können wir uns nicht ungetrübt an ihnen freuen: Nagetiere – zu denen auch die Ratten und Wühlmäuse gehören – verursachen nämlich weltweit grosse Schäden an Menschen und Materialien. Besonders wohl fühlen sich die Tiere in der Kanalisation, Kompost- und Müllablagerungen und auch in Lebensmittellagern. Auf ihren Streifzügen kommen die Tiere ständig mit vielen Krankheitserregern in Kontakt. Diese können sie über ihren Urin und Kot auf Nahrungsmittel und auf andere Tiere und Menschen übertragen, so dass sie als Hygieneschädlinge gelten. Durch ihren Nagetrieb beschädigen die Tiere Isolierungen, Baumaterial und elektrische Kabel. Ausserdem verursachen Wühlmäuse Schäden in der Landwirtschaft und beeinträchtigen die Produktion von Tierfutter. Um diese nachteiligen Wirkungen zu vermeiden, werden häufig chemische Bekämpfungsmittel gegen die Tiere eingesetzt, sogenannte Rodentizide.

Blutgerinnung wird gehemmt

Die meisten Rodentizide, die in der Schweiz verwendet werden, verhindern die Regeneration von Vitamin K und hemmen so die Blutgerinnung; man spricht auch von Antikoagulanzien. Der Tod der Tiere wird dabei durch unkontrollierte innere und äussere Blutungen ausgelöst, die durch eine erhöhte Durchlässigkeit der Blutgefässe und den Verlust der Gerinnungsfähigkeit des Blutes verursacht werden. Die Wirkung tritt langsam ein und die Nager sterben erst mehrere Tage nach Aufnahme des Gifts. Das ist wichtig, da so verhindert wird, dass die intelligenten Tiere die Frassköder meiden, über die das Gift ausgebracht wird. Antikoagulanzien wirken aber nicht nur auf Nager, sondern auf alle Wirbeltiere. Dies stellt eine Gefahr für andere Organismen dar, die unbeabsichtigt mit dem Gift in Kontakt kommen.

Insgesamt sind in der Schweiz acht verschiedene gerinnungshemmenden Rodentizide zugelassen (AR, Antikoagulanzien-Rodentizide) zugelassen. Alle zeichnen sich durch eine geringe Wasserlöslichkeit, starke Adsorption an organische Substanz, hohe Fettlöslichkeit und eine hohes Potential zur Bioakkumulation aus. «Diese Eigenschaften prädestinieren die Stoffe geradezu dazu, sich in der Nahrungskette anzureichern», sagt Etienne Vermeirssen. «So könnten sie besonders für Tiere an der Spitze der Nahrungskette ein Problem darstellen.»

Übertragung durch Nahrungskette

Eingesetzt werden AR hauptsächlich in der Tierhaltung, der Kanalisation, der Lebensmittelindustrie sowie allgemein in städtischen Gebieten. Da die Stoffe sehr giftig sind, werden sie meist durch professionelle Schädlingsbekämpfer ausgebracht, aber auch durch Agrarunternehmen, lokale Behörden und Private. Zum Schutz von Nichtzielorganismen werden häufig spezielle, auf die Zielarten abgestimmte Köderstationen verwendet, um den Zugang durch andere Tiere zu verringern. Diese können die Stoffe jedoch auch durch das Fressen vergifteter Nager aufnehmen, so dass Tiere an der Spitze der Nahrungskette (sogenannte Top-Prädatoren wie Raubvögel und Füchse) besonders gefährdet sind. In ihren Körpern könnten sich die AR durch Adsorption an die organische Substanz anreichern. Aber auch eine Exposition über den Kontakt mit den Ködern oder über Run-off aus der Landwirtschaft oder der Kanalisation ist möglich.

Nachweis in allen Ländern

In den Nachbarländern der Schweiz wurden AR bereits in zahlreichen Wildtieren nachgewiesen. Darunter waren vor allem Tiere an der Spitze der Nahrungskette wie Füchse, Greifvögel und Otter, aber auch Insekten und Schnecken. Obwohl AR auch in der Schweiz angewendet werden, gab es bis jetzt noch keine Studie zum Auftreten der Substanzen in der Umwelt. Allerdings sind Vergiftungsfälle von Wild- und Haustieren bekannt, beispielsweise aufgrund unsachgemässer Auslegung von Ködern. Um herauszufinden, ob die Stoffe in der Schweiz ein Problem darstellen könnten, hat das Oekotoxzentrum ihre Konzentration in der Leber verschiedener Top-Prädatoren und auch von Igeln und Fischen untersucht. Für das Monitoring sind Füchse, Greifvögel und Eulen besonders relevant, da sie Nagetiere fressen und auch Aas nicht verschmähen, so dass sie vergiftete Tiere verzehren können. Das Auftreten von AR in Wasserökosystemen kann anhand der Belastung von Fischen untersucht werden. Auftraggeber der Studie war das Bundesamt für Umwelt, welches für die Umweltrisikobeurteilung von Bioziden und PSM zuständig ist und mit dieser Studie mehr über Verwendungen von AR in der Schweiz und die möglichen Risiken für die Umwelt erfahren wollte.

Das Oekotoxzentrum untersuchte insgesamt 25 Füchse, 21 Raubvögel (18 Mäusebussarde, 2 Waldkauze und einen Turmfalken), vier Igel und 41 Fische, die von der Universität Zürich und verschiedenen Wildtierzentren zur Verfügung gestellt worden waren. Die Tiere waren entweder für eine Studie zur Parasitenbelastung erlegt worden (Füchse), in Tierauffangstationen gestorben (Vögel, Igel) oder von Fischereiaufsehern oder Hobbyfischern gefangen worden (Fische). Die Leber der Tiere wurde homogenisiert, extrahiert und sieben der AR mit Hilfe einer Kopplung von Flüssigchromatographie und Massenspektrometrie (LC-MS/MS) nachgewiesen. «Die Nachweismethode mussten wir zunächst entwickeln», sagt Etienne Vermeirssen.

Füchse und Greifvögel besonders gefährdet

In 92% der untersuchten Füchse wurden bis zu 4 AR nachgewiesen, bei 24% lag deren Konzentration über 100 ng/g: Diese Konzentration gilt als potentiell schädlich. Die höchste Konzentration, die in einem Fuchs gemessen wurde, lag bei 1100 ng/g. «Die mittlere Konzentration war bei älteren Füchsen mehr als 30mal höher als bei jungen Füchsen», sagt Etienne Vermeirssen. «Das deutet darauf hin, dass sich die Stoffe im Lauf der Lebenszeit in den Tieren anreichern.»

Bei den Greifvögeln und Eulen wurden in 95% der Tiere bis zu 4 AR nachgewiesen, bei 14% der Vögel lag die Konzentration über 100 ng/g. Zwei der Mäusebussarde enthielten die AR in Konzentrationen über 400 ng/g. Alle vier Igelproben enthielten AR. Doch Igel fressen im Gegensatz zu Füchsen und Greifvögeln keine Nagetiere, können also nicht auf diesem Weg exponiert werden. «Auch wenn diese Stichprobe sehr klein ist, zeigt das, dass wir bei Wildtieren in städtischen Gebieten wohl mit einem allgemeinen Hintergrund von AR rechnen müssen», sagt Etienne Vermeirssen. Die Untersuchung der Fische deutet zudem auf eine weit verbreitete Kontamination der Gewässerorganismen mit AR hin, da die Stoffe in 73% der Proben nachgewiesen werden konnten.

Fehlender Konsens zu Wirkkonzentrationen

Etienne Vermeirssen ist nicht überrascht. «Diese Werte liegen im gleichen Bereich wie das, was wir in den Nachbarländern der Schweiz gesehen haben», sagt Vermeirssen. Es sei sicher notwendig, hier näher hinzusehen. «Ein Problem ist, dass es bis jetzt keinen Konsens über akzeptable Schwellenkonzentrationen in der Leber der Tiere gibt», räumt er ein. Während eine Schwelle von 100 bis 200 ng/g als allgemein besorgniserregende Konzentration verwendet wird, sei für Vögel auch schon die wesentlich niedrigere Konzentration von 20 ng/g vorgeschlagen worden.

Grössere Monitoringstudie wäre sinnvoll

Als nächsten Schritt schlagen die Forschenden eine weitere Monitoringstudie vor, um die Anzahl der Proben und der untersuchten Regionen zu erweitern und die Beobachtungen aus der bestehenden Studie zu bestätigen. Für dieses Monitoring wäre es am besten, verfügbare Tierproben zu nutzen, die zum Beispiel durch Jagdaktivitäten und in Verbindung mit anderen Monitoringprogrammen anfallen. Eine fundiertere Bestandsaufnahme sollte es auch möglich machen, zeitliche Trends zu ermitteln, zumindest an ausgewählten Standorten. Würden in Zukunft Massnahmen oder veränderte Vorschriften für die Anwendung von AR erlassen, liesse sich so deren Wirksamkeit beurteilen.

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