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Beurteilung der Wasserqualität mit einer Biotestbatterie

17. Mai 2023, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Risikobewertung

Beurteilung der Wasserqualität mit einer Biotestbatterie

Eine umfangreiche Studie zur Bestimmung der Wasserqualität in der Schweiz zeigt, dass sich chemische Messungen und Biotests gegenseitig ergänzen. Während Risiken für Fische empfindlicher mit Biotests nachgewiesen wurden, war bei den Risiken für Wirbellose durch Pyrethroid-Insektizide die chemische Analytik die empfindlichere Methode. Das Oekotoxzentrum schlägt eine Biotestbatterie für Routineuntersuchungen vor.

Seit Jahren bemühen sich Forschende und Behördenmitglieder, ökotoxikologische Methoden in die Routinebewertung der Wasserqualität zu integrieren. Denn diese ergänzen die chemische Analytik und geben wichtige Hinweise auf schädliche Effekte auf Organismen. Zur Bewertung von Wasserproben können Biotests mit einzelligen Organismen oder Zelllinien (in vitro) und Biotests mit mehrzelligen Organismen (in vivo) eingesetzt werden. In-vitro-Biotests reagieren oft spezifisch auf bestimmte Stoffgruppen wie zum Beispiel Herbizide oder hormonaktive Stoffe. Sie erlauben ein kosten- und zeiteffizientes Screening, um das Risiko dieser Stoffgruppen für Umweltorganismen abzuschätzen. Dahingegen reagieren die Testorganismen in in-vivo-Biotests auf alle Stoffe in einer Wasserprobe, auf die sie empfindlich sind, jedoch sind häufig keine Rückschlüsse auf die verursachenden Stoffe möglich.

Umfangreiche Studie im Schweizer Mittelland

Da ein einzelner Biotest niemals alle möglichen Effekte auf alle Organismen erfassen kann, ist es sinnvoll, mehrere Tests in einer «Biotestbatterie» zu kombinieren. Das Oekotoxzentrum hat im Mai/Juni 2021 Wasserproben aus 15 Gewässern des Schweizer Mittellandes mit einer umfassenden Biotestbatterie untersucht (siehe Newsartikel). Insgesamt setzten die Forschenden 14 Biotests ein, die zahlreiche Schadstoffeffekte abdecken (siehe Tabelle). «Die meisten dieser Tests sind standardisiert und vieles sind Kurzzeittests, was sie sehr praxistauglich macht», erläutert Projektleiterin Cornelia Kienle. Parallel dazu wurden die Proben von den kantonalen Gewässerschutzlaboren auf bis zu 206 organische Stoffe analysiert – darunter 114 Pflanzenschutzmittel und 30 Arzneimittel – ebenso wie zahlreiche Metalle und abiotische Parameter.

Um alle gemessenen Effekte in den Biotests zu berücksichtigen, wurden die biologischen Risikoquotienten aller Biotests für jeden Standort aufsummiert (siehe Kasten). «Wir haben zwischen den untersuchten Landnutzungstypen deutliche Unterschiede gesehen», sagt Cornelia Kienle. «Am stärksten war das Risiko für die Standorte mit landwirtschaftlicher und urbaner Nutzung, dann folgten die Standorte mit landwirtschaftlicher und schliesslich die mit extensiver Nutzung». Die meisten toxischen Effekte gab es beim PXR-CALUX®, dem Fisch-Embryo-Toxizitätstest, dem Test mit Fischzelllinien und dem kombinierten Algentest (Wachstumshemmung). Die chemische Analytik zeigte Risiken an allen drei Standorttypen auf, für die vor allem Insektizide aus der Gruppe der Pyrethroide wie Cypermethrin, Deltamethrin, lambda-Cyhalothrin und Permethrin verantwortlich waren. Überschreitungen von Umweltqualitätskriterien gab es ausserdem für die Insektizide Chlorpyrifos, Fenvalerat, Thiacloprid, Fipronil und Fenoxycarb, für die Herbizide Metazachlor und Propyzamid und für das Schmerzmittel Diclofenac.

Hohe Risiken für Wirbellose durch Pyrethroide

Doch wie vergleichen sich nun die Risiken, die auf Basis von Biotests bestimmt werden, mit denen, die auf chemischen Messungen beruhen? An den extensiv genutzten Standorten gab weder der biologische noch der chemische Risikoquotient ein Risiko für Pflanzen an. Die chemischen Messungen wiesen auf ein Risiko für Wirbellose hin, für das vor allem die hochgiftigen Pyrethroide verantwortlich waren. «In den Biotests haben wir jedoch keine Effekte auf Wirbellose gesehen», sagt Cornelia Kienle. «Dies liegt daran, dass in den Tests Wasserflöhe verwendet wurden, die nicht so empfindlich auf diese Stoffe reagieren.» Am empfindlichsten wären Amphipoden, für die es aber noch keine standardisierten Biotests gibt. Bei den Risiken für Fische war es umgekehrt: Obwohl die chemischen Messungen nicht auf ein Risiko für Wirbeltiere hinwiesen, wurden Effekte auf Fischembryonen beobachtet. Die dafür verantwortlichen Stoffe waren wahrscheinlich durch die chemische Analytik nicht erfasst worden.

Bei den landwirtschaftlich genutzten Standorten wiesen die chemischen Messungen auf ein Risiko für Pflanzen und Algen hin, das durch den kombinierten Algentest bestätigt wurde. Bei den Wirbellosen zeigte sich ein ähnliches Bild wie bei den extensiv genutzten Standorten: Auch hier wurde chemisch ein Risiko durch Pyrethroide nachgewiesen das die Biotests mit den Wasserflöhen nicht bestätigten. Und obwohl auf Basis der chemischen Messungen kein Risiko für Wirbeltiere gefunden wurde, wurden Effekte im Fischembryotest und im Fischzelllinientest nachgewiesen.

Bei den landwirtschaftlich und urban genutzten Standorten zeigte die chemische Analytik ein ökotoxikologisches Risiko für alle Organismentypen an. Während die Effekte auf Pflanzen und Wirbeltiere durch die Biotests bestätigt wurden, zeigte sich erneut kein Effekt auf Wirbellose im Wasserflohtest.

Vorschlag für Biotestbatterie

Basierend auf dieser Messkampagne schlägt das Oekotoxzentrum folgende Biotests für das Monitoring von Oberflächengewässern vor:

  • Zwei bis vier Reportergentests (CALUX® Panel) z.B. für oxidativen Stress, östrogene Aktivität und Schadstoffmetabolismus
  • Den kombinierten Algentest für ein Screening auf Herbizideffekte. Die Resultate zeigen eine gute Übereinstimmung mit der chemischen Analytik.
  • Den Fischzelllinientest und/oder Fischembryo-Toxizitäts-Test mit Zebrabärblingen über 120 Stunden. Diese Biotests zeigen Risiken an, die durch die chemischen Messungen bisher übersehen werden.
  • Einen Test mit Wirbellosen, am besten Krebstieren, da diese in vielen Fällen dem höchsten Risiko ausgesetzt sind. Hierfür kann zum Beispiel der Fortpflanzungstest mit Wasserflöhen verwendet werden, die unter anderem empfindlich auf viele Insektizide reagieren. Für Pyrethroid-Insektizide wären Amphipoden die empfindlichste Gruppe, allerdings gibt es für diese noch keinen standardisierten Biotest. Daher sollten Pyrethroide weiterhin mit der chemischen Analytik erfasst werden.

Abhängig von der spezifischen Fragestellung kann die Testbatterie mit zusätzlichen CALUX®-Tests auf z.B. weitere Hormonwirkungen, die Aktivität von polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) oder polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH) und einem Test auf Gentoxizität erweitert werden. «Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn es Hinweise auf das Vorhandensein von solchen Stoffen gibt», sagt Cornelia Kienle.

Kasten: Bestimmung von ökotoxikologischen Risiken

Das Risiko für Gewässerorganismen kann entweder auf Basis von Biotests oder von chemisch-analytischen Messungen bestimmt werden.

Um das Risiko auf Basis von Biotests zu beschreiben, wird der biologische Risikoquotient RQbio berechnet. Dabei handelt es sich um das Verhältnis aus dem gemessenen Wert im Biotest und dem jeweiligen effektbasierten Schwellenwert. Dies ist ein spezifischer Wert für jeden Test, unterhalb dessen schädliche Auswirkungen auf Organismen bezüglich des im Test untersuchten Effekts unwahrscheinlich sind. Die RQbio werden an jedem Standort für alle Biotests aufsummiert, entweder für Algen, Wirbellose und Fische separat oder für alle Organismentypen zusammen.

Um das chronische Risiko auf Basis von chemisch-analytischen Messungen zu bestimmen, wird der chemische Risikoquotient RQchem berechnet. Dazu wird die gemessene Konzentration für jede Substanz durch ihr chronisches Umweltqualitätskriterium UQK geteilt. Das UQK ist ein Konzentrationswert, der auf Basis von Daten zur Ökotoxizität einer Substanz bestimmt wird und unterhalb dessen keine toxischen Effekte auf Organismen erwartet werden. Die RQchem werden an jedem Standort für alle nachgewiesenen Substanzen aufsummiert, entweder für Pflanzen, Wirbellose und Fische separat oder für alle Organismentypen zusammen.

Publikation

Kienle, C., Bramaz, N., Schifferli, A., Olbrich, D., Werner, I., Vermeirssen, E. (2023) Beurteilung der Wasserqualität mit einer Biotestbatterie. Aqua & Gas 103(4), 24-33

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Dr. Cornelia Kienle
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