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Priorisierung von Stoffen für das Sedimentmonitoring in der Schweiz

30. Mai 2017, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung

Priorisierung von Stoffen für das Sedimentmonitoring in der Schweiz

Das Oekotoxzentrum hat organische Substanzen für ein Sedimentmonitoring priorisiert. Die Liste bildet eine Grundlage für das Sedimentmodul des Modul-Stufen-Konzepts.

Die Schweizer Gewässer sind durch die Gewässerschutzverordnung geschützt, die verlangt, dass im Wasser, den Schwebstoffen und den Sedimenten keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten sind. Standardisierte Methoden zur Gewässeruntersuchung beschreibt das Modul-Stufen-Konzept: Dieses wurde vom Bund zusammen mit der Eawag und den kantonalen Gewässerschutzfachstellen entwickelt. Das Oekotoxzentrum erarbeitet den noch fehlenden Sedimentmodul, also eine harmonisierte Methode für das Sedimentmonitoring in der Schweiz. Doch welche Stoffe sollen dort untersucht werden? Eine Umfrage des Oekotoxzentrums 2012 zeigte, dass die meisten Kantone in Sedimenten hauptsächlich Metalle, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) und polychlorierte Biphenyle (PCB) analysieren. Sedimente sammeln jedoch auch zahlreiche andere Substanzen an, wie zum Beispiel Pestizide und Arzneimittel. Für das Gewässermonitoring wurde eine Reihe dieser Substanzen priorisiert. Allerdings gilt diese Priorisierung nur für Chemikalien in der Wasserphase. Für Substanzen, die an Partikel gebunden sind, sind andere Auswahlkriterien notwendig.

Umfangreiche Stoffliste als Basis

„Wir haben Schadstoffe in Sedimenten priorisiert und dazu ein System vom Europäischen Monitoringnetzwerk NORMAN übernommen“, erklärt Carmen Casado-Martinez vom Oekotoxzentrum. „Das System berücksichtigt, dass für viele Stoffe in Sedimenten die notwendigen Umwelt- und Toxizitätsdaten fehlen.“ Die Substanzen werden dabei je nach Datenlage in Kategorien eingeordnet und dann innerhalb der Kategorien bewertet. Metalle wurden separat beurteilt und sind daher in dieser Priorisierung nicht enthalten. Zunächst machten Carmen Casado-Martinez und Michel Wildi eine Liste der potenziell wichtigen Substanzen in Sedimenten: Dazu gehören die in der Schweiz zugelassenen Pflanzenschutzmittel und Biozide, diejenigen Stoffe, die von den Schweizer Behörden in Sedimenten am häufigsten nachgewiesen worden waren und Stoffe aus dem ARA-Ablauf, dem Schweizer Altlasten-Verzeichnis und dem Schadstoffregister. Auch EU-priorisierte Substanzen und solche, die in früheren Sediment-Monitoringkampagnen nachgewiesen wurden, wurden aufgenommen. Diese initiale Stoffliste enthielt 1089 Substanzen.

Fünf Aktionskategorien als Grundlage für Monitoring

Aus dieser Liste wurden diejenigen Stoffe ausgewählt, die mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllen: 1) Die Substanz wurde in der Schweiz oder der EU in Sedimenten nachgewiesen. 2) Es gibt in anderen Ländern Sediment-Qualitätskriterien (SQK) für diese Stoffe – also Grenzwerte, oberhalb derer schädliche Effekte auf Sedimentorganismen möglich sind. Hier wurden Daten aus der EU und den USA berücksichtigt. 3) Der Stoff ist so hydrophob und persistent, dass sein Vorkommen in Sedimenten wahrscheinlich ist. Insgesamt wurden so 240 Sediment-relevante Stoffe selektiert. Diese wurden anschliessend abhängig von der Datenverfügbarkeit und dem Risikofaktor (RAF  = Gemessene Konzentration/Sedimentgrenzwert) in 5 Aktionskategorien eingeteilt (siehe Tabelle), die als Grundlage für weiterführende Empfehlungen dienten.

Innerhalb der einzelnen Kategorien wurden die Stoffe aufgrund der Exposition, der Gefährlichkeit und des Risikos priorisiert. So wurden zum Beispiel Substanzen, die direkt in die Umwelt entlassen werden (zum Beispiel Pestizide) höher bewertet als solche, die in kontrollierten Systemen angewendet werden. In die Beurteilung der Gefährlichkeit fliessen die Persistenz, die Bioakkumulation, die Biomagnifikation, die Toxizität und das hormonähnliche Potential der Stoffe ein. Für die Bewertung des Risikos wird die Existenz oder Abwesenheit von SQK für eine Substanz in der EU berücksichtigt, ebenso Empfehlungen für Qualitätskriterien für Oberflächengewässer in der Schweiz, Aufnahme in eine Liste von prioritären Substanzen und der berechnete Risikofaktor.

Kategorie 1 enthält Substanzen mit bekannter Umweltkonzentrationen und einem Risikofaktor grösser als eins, die in Zukunft überwacht werden sollten. Dazu gehören chlororganische Pestizide, Hexachlorbenzol, DDT, PAH, PCB und das Phthalat DEHP.

Zur Kategorie 2 gehören Substanzen, die in der EU und gelegentlich auch in der Schweiz in Sedimenten nachgewiesen werden. Für diese Stoffe werden Messkampagnen empfohlen, um mehr Sedimentdaten zu erhalten. Dazu gehören zum Beispiel das Algizid Irgarol, das Biozid Triclosan, das Herbizid Diuron und Benzpyren. Ebenfalls hohe Ränge in dieser Kategorie erhielten die Pyrethroid-Insektizide Deltamethrin, Lambda-Cyhalothrin und Permethrin und das Organophosphat Chlorpyriphos. Auch der Weichmacher Bisphenol A, das Epilepsiemedikament Carbamazepin und das Hormon Estron gehören in diese Kategorie.

Substanzen der Kategorie 3 werden zwar in der Schweiz oder der EU in Sedimenten nachgewiesen, doch fehlen ökotoxikologische Daten, so dass kein Risiko bestimmt werden kann. Es wird empfohlen, für diese Substanzen die notwendigen ökotoxikologischen Daten zu erheben. Am relevantesten in dieser Kategorie sind die bromierten Flammschutzmittel und die perfluorierten Substanzen. Dazu gehören aber auch einige Pestizide, Fungizide und Stoffe aus Körperpflegeprodukten wie Climbazol, Octocrylen, Triclocarban und synthetische Moschusverbindungen.

Für relativ viele Sediment-relevante Substanzen gibt es zu wenig Umweltdaten (Kategorie 4), so dass es schwierig ist, die Exposition zu berechnen. Hier sollten Messkampagnen lanciert werden, um das Datenproblem zu beheben. Am höchsten bewertet wurden das synthetische Hormon 17-α- Ethinlyestradiol, das Antibiotikum Erythromycin, der Lipidsenker Benzofibrat und andere Arzneimittel wie Azithromycin, Clarithromycin und Diclofenac. Ebenfalls hoch bewertet wurden einige Insektizide  und Fungizide.

Zur Kategorie 5 gehören Pestizide, nicht mehr zugelassen sind und deren Umweltkonzentration daher zurückgeht, so wie die chlororganischen Insektizide Endosulfan und Heptachlor. Die Stoffe werden für ein reduziertes Routine-Monitoring empfohlen.

Mehr Sediment-EQS und Toxizitätsdaten gefragt

Gegenwärtig benutzte Stoffe, die kontinuierlich (z. B. Arzneimittel, Körperpflegesubstanzen, Reinigungsmittel) oder immer wieder (z. B. Pflanzenschutzmittel) in die Umwelt freigesetzt werden, sollten nicht nur im Wasser, sondern auch im Sediment überwacht werden. Aber auch schon lange verbotene Verbindungen ("Altlasten") in Sedimenten können relevant sein, da sie sich am Sedimentgrund ablagern und von dort wieder ins Wasser abgegeben werden können. Um die Sedimentqualität auf Basis von chemischer Analytik zu bestimmen braucht es zwingend SQK für die Dateninterpretation. In der Vergangenheit wurden SQK hauptsächlich für Altlasten wie PCB, PAK und organochlorische Pestizide entwickelt. Die EU hat ihren Mitgliedstaaten empfohlen, einige prioritäre Substanzen auch in Sedimenten zu überwachen. Dies hat dazu geführt, dass immer mehr SQK abgeleitet und validiert werden und für eine Sedimentbewertung zur Verfügung stehen. Ein Problem bleibt, dass es nur wenige Wirkungsdaten für Sedimentorganismen gibt und daher oft auf der Basis von Daten für freischwimmende Organismen extrapoliert werden muss. Mehr Toxizitätsdaten für Sedimentorganismen könnten die Unsicherheit bei der Bewertung verringern.

Das hier vorgestellte Screeningsystem hat sich als nützlich erwiesen, um Substanzen für ein Monitoring effizient zu priorisieren. Es kann kontinuierlich auf Basis von neuen Sedimentdaten aktualisierte werden. Das Oekotoxzentrum wird zusammen mit den Kantonen aus den priorisierten Substanzen eine finale Substanzliste für das Sediment-Modul des Modul-Stufen-Konzepts erstellen.

Mehr Informationen

Casado-Martinez, M.C., Wildi, M., Ferrari, B.J.D., Werner, I. (2017) Prioritization of substances for national ambient monitoring of sediment in Switzerland. Environmental Science and Pollution Research DOI 10.1007/s11356-017-9082-6

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