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Strategie zur Beurteilung der Sedimentqualität in der Schweiz

24. November 2020, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung

Strategie zur Beurteilung der Sedimentqualität in der Schweiz

Nach 6 Jahren steht das Beurteilungskonzept für die Sedimentqualität in der Schweiz in der Zielgeraden. Neben einer harmonisierten Methode zur Probenahme und Probenaufbereitung wurde eine Stoffliste für das regelmässige Sedimentmonitoring entwickelt, ausserdem Sediment-Qualitätskriterien sowie ein Bewertungssystem.

Sedimente spielen eine entscheidende Rolle für die Gewässerqualität. Ein Ziel der Schweizer Gewässerschutzverordnung ist, dass Sedimente keine persistenten Stoffe enthalten und auch keine Stoffe anreichern, die eine schädliche Wirkung auf Lebewesen haben. Doch bis jetzt gibt es keine einheitliche Strategie für die Kantone, um die Sedimentqualität zu überwachen. An einer solchen Bewertungsstrategie für Sedimente hat das Oekotoxzentrum in den vergangenen 6 Jahren im Auftrag des Bundesamts für Umwelt gearbeitet, Projektpartner war die Plattform Wasserqualität des Verbands Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA). Eine Umfrage bei den Kantonen hatte gezeigt, dass diese ein einheitliches Vorgehen zur Probenahme und Probenvorbehandlung wünschen. Ausserdem fehlen ihnen Empfehlungen für Stoffe, die regelmässig überwacht werden sollten, sowie ökotoxikologische Grenzwerte, um die Sedimentqualität zu bewerten. Die Bewertungsstrategie wurde als Teil des Modul-Stufen-Konzepts entwickelt, das standardisierte Methoden zur Analyse und Bewertung der Schweizer Fliessgewässer enthält. Die erste Projektphase im Sedimentprojekt ist nun beendet; bald wird ein Expertenbericht veröffentlicht.

Feldprotokoll durch Ringversuche mit Kantonen validiert

Die Strategie geht zunächst auf die Planung der Monitoringkampagne und die Auswahl der Probenahmestellen ein. Es wird empfohlen, Mischproben aus dem Oberflächensediment von mindestens 3 Standorten pro Probenahmestelle zu nehmen. Die Proben werden anschliessend nass gesiebt, um die Gesamtfraktion mit einer Partikelgrösse < 2mm zu erhalten. «Diese Fraktion empfehlen wir für die ökotoxikologische Risikobewertung», sagt Carmen Casado-Martinez. Die meisten Toxizitätstests werden nämlich mit der Fraktion < 2mm durchgeführt, so dass sich daraus abgeleitete Sediment-Qualitätskriterien stets auf diese Fraktion beziehen. Ist das Ziel eine Trendanalyse und steht nur die chemische Konzentration im Fokus, so wird empfohlen, die Feinfraktion (< 63 µm) zu verwenden. Die Sedimente werden gekühlt transportiert und vor der chemischen Analytik mit Säure (für die Metallanalyse) oder Lösungsmitteln (für die Analyse von organischen Schadstoffen) extrahiert. Das Oekotoxzentrum hat das vorgeschlagene Probenahmeprotokoll in zwei Feldversuchen zusammen mit Mitarbeitenden von insgesamt acht kantonalen Gewässerschutzfachstellen validiert. Es zeigte sich, dass die Methode gut reproduzierbar ist und von allen gut angewendet werden kann.

Auswahl der relevantesten Sedimentschadstoffe

Ein Projektziel war es, die geeigneten Schadstoffe für ein regelmässiges Sedimentmonitoring zu empfehlen. Zunächst wurde eine Grobauswahl der Stoffe getroffen, die eine der folgenden Bedingungen erfüllen: 1) Die Substanz wurde in der Schweiz oder der EU in Sedimenten nachgewiesen. 2) Es gibt in anderen Ländern Sediment Qualitätskriterien (SQK). 3) Der Stoff ist so hydrophob und persistent, dass sein Vorkommen in Sedimenten wahrscheinlich ist. Diese ausgewählten Stoffe wurden dann - abhängig von der Datenverfügbarkeit und dem Risikofaktor (gemessene Konzentration / SQK) - in 5 Aktionskategorien eingeteilt, die die Grundlage für die weiteren Empfehlungen bilden. Schliesslich wurden die Stoffe nach ihrer Exposition, ihrer Gefährlichkeit und ihrem Risiko priorisiert. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit spielen die Persistenz, die Bioakkumulation und die Toxizität der Stoffe eine Rolle. Für die Bewertung des Risikos wird die Existenz von SQK in der EU berücksichtigt, ebenso Qualitätskriterien für Oberflächengewässer und der berechnete Risikofaktor.

Insgesamt wurden so 20 Substanzen oder Substanzgruppen ausgewählt, die für das Sediment-Monitoring in der Schweiz empfohlen werden (siehe Tabelle).

Darunter sind zum einen klassische Schadstoffe wie polychlorierte Biphenyle (PCB), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und Metalle und zum anderen neue Substanzen wie Pflanzenschutzmittel, Medikamente und Körperpflegemittel. Die Liste kann je nach Art des Gewässers, den vorhandenen Schadstoffquellen und den Zielen der Studie angepasst werden. Für alle Stoffe hat das Oekotoxzentrum SQK auf der Grundlage von Wirkdaten erarbeitet, die letzten Stoffe werden momentan geprüft. Die Methode zur Ableitung von SQK ist in weiten Teilen ähnlich wie die Methode zur Ableitung von Qualitätskriterien (QK) für Wasser (siehe Kasten). Durch einen Vergleich der Konzentrationen aus der chemischen Analyse mit den SQK kann die Sedimentqualität in 5 Klassen eingeteilt und so bewertet werden.

Für einen Teil der Stoffe (PCB, PAK, Bis(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP), Kupfer, Zink, Quecksilber, Blei) sind die Konzentrationen in der Schweiz bereits bekannt und es gibt klare Risiken. Diese Stoffe werden für ein regelmässiges Monitoring empfohlen. Bei den anderen Stoffen wie Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten oder Körperpflegemitteln erlauben die verfügbaren Daten nur eine vorläufige Risikobewertung. «Hier empfehlen wir ein regelmässiges Monitoring, um mehr Daten über die Umweltkonzentrationen der Stoffe zu sammeln», erklärt Carmen Casado Martinez.

Validierung in der Messkampagne NAWA SPEZ 2018

Die Bewertungsstrategie für Sedimente validierten die Forschenden 2018 im Rahmen der Messkampagne der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA SPEZ. «Wir haben Sedimentproben aus 18 kleinen Fliessgewässern der ganzen Schweiz mit unterschiedlichen Belastungen untersucht», sagt Carmen Casado-Martinez. Dazu wurden die ausgewählten Stoffe (siehe Tabelle) im Gesamtsediment (< 2mm) und der Feinfraktion (< 63µm) analysiert. Die meisten Sedimente enthielten traditionelle Sedimentschadstoffe wie Metalle, PAK und PCB. In einigen Fällen wurden diese in Konzentrationen oberhalb der SQK gefunden. Dies bedeutet, dass ein Risiko für Sedimentlebewesen nicht ausgeschlossen werden kann. Die Pflanzenschutzmittel Chlorpyrifos, Tebuconazol und Diuron waren vor allem an Standorten vorhanden, an denen intensiv Landwirtschaft betrieben wird. Das Risiko für diese Stoffe kann allerdings nur vorläufig bewertet werden, da es nicht genügend Daten zur Toxizität der Stoffe für Sedimentlebewesen gibt (siehe Kasten).

DEHP und PFOS wurden an allen Standorten nachgewiesen – auch an solchen, die wegen ihrer Abgelegenheit als Referenzstandorte dienen. Dabei zeigt DEHP eine Kontamination mit Phthalaten an und PFOS eine Kontamination mit polyfluorierten Alkylsulfonaten. «Für DEHP als Einzelstoff haben wir kein Risiko für Sedimentlebewesen gefunden», berichtet Carmen Casado-Martinez. «Es sind aber an diesen Standorten auch andere Phthalate in erhöhten Konzentrationen vorhanden, die durch die Mischungseffekte ein Risiko darstellen könnten.» Für PFOS gibt es zu wenig Toxizitätsdaten, so dass das Risiko nicht endgültig bewertet werden kann. Octylphenol, Nonylphenol und Tonalid wurden nur selten gefunden und nie in Konzentrationen oberhalb des SQK.

Und wenn die Qualitätskriterien überschritten werden?

Die Bewertungsstrategie berücksichtigt das Vorsorgeprinzip und ist daher absichtlich konservativ. Je nach Sedimenttyp können dieselben Schadstoffe allerdings unterschiedlich bioverfügbar sein. Ausserdem bedeutet die Überschreitung der SQK nicht unbedingt, dass sich die Organismengemeinschaft verändert oder die Stoffe direkt toxisch wirken. Daher sollte die Risikobewertung mit SQK immer zusammen mit ergänzenden Informationen wie den natürlichen Hintergrundkonzentrationen, Ergebnissen aus Biotests oder anderen Arten von Qualitätsbewertungen betrachtet werden. Je nach Fragestellung ist eine unterschiedlich komplexe Beurteilung der Sedimentqualität nötig. Wenn es das Ziel ist, einen Überblick über die Sedimentqualität im Kanton oder der Region zu erhalten, reicht eine weniger komplexe Studie aus. Wenn aber Prioritäten für das Umweltmanagement gesetzt werden sollen (z.B. Identifizierung und Kontrolle von Quellen, Sanierung), muss der Standort umfassender charakterisiert werden. Das Oekotoxzentrum wird in einer zweiten Projektphase Empfehlungen für ergänzende Methoden wie Biotests oder die Untersuchung von Lebensgemeinschaften erarbeiten.

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